Musik der Sinti & Roma

    Musik der Sinti und Roma

    Musik der Sinti & Roma

    Der folgende Artikel „Musik der Sinti und Roma“ wurde im „Rotary Magazin“ (02/2014) veröffentlicht.

    Er behandelt die Geschichte der Musik von Sinti und Roma und versucht die Hintergründe aufzuzeigen.

    (Autor: Bertino Rodmann, Rotary Magazin 02/14)

    Arabeske Melodien, Balkan-Musik, ungarischer Çsardas, Jazz-Manouche oder Gypsyjazz, französischer Valse Musette, spanischer Flamenco – die Musik der Sinti und Roma hat viele verschiedene Farben, Gesichter und Einflüsse, die so vielfältig wie verschiedenen Volksgruppen (der oft als „Zigeuner“ bezeichneten Menschen) des Volkes der „Sinti und Roma“ sind.

    Zunächst einmal ist es bei der Beschäftigung mit der Musik der „Sinti und Roma“ zum besseren Verständnis sicherlich hilfreich ein Stück mit weit verbreiteter Unwissenheit aufzuräumen und ebenso wichtig sich mit gewissen Vorurteilen auseinanderzusetzen.

    Musik der Sinti & Roma

    Die internationale Bürgerrechtsbewegung der „Zigeuner“ benutzt heute nur noch den Begriff „Rom“ oder „Roma“ (Romanes, für: „Mann od. Mensch“) als Oberbegriff für beide Volksgruppen, während sich in Deutschland seit den frühen 1970er Jahren weitgehend die Unterscheidung und Bezeichnung "Sinti und Roma" durchgesetzt hat. Die Bezeichnung „Zigeuner“ (abgeleitet vom altdeut. „ziehende Gauner“) wird daher heute von der Mehrheit der Sinti und Roma verständlicherweise als diskriminierend abgelehnt.

    Das Wort „Zigeuner“ ist also eine immer noch (oder schon wieder?) meist eher diskriminierend gemeinte Fremdbezeichnung, welche leider viele Menschen in unserer deutschen Mehrheitsbevölkerung und auch Publizisten (meist unbewusst) leider immer wieder verwenden oder manchmal auch bewusst verwenden wollen.

    Etwa 10 Millionen Sinti und Roma leben z.Zt. in Europa, der grösste Teil davon in Osteuropa, Rumänien, Bulgarien, Albanien und im ehemaligen Jugoslawien. Die ersten Sinti und Roma wanderten laut den ersten Aufzeichnungen um das 14. bis 15. Jahrhundert in das deutsche Sprachgebiet ein.

    Musik der Sinti & Roma

    (Bild oben: Völkerwanderung der Sinti und Roma)

    Die vor mehr als sechs Jahrhunderten in Deutschland, Osterreich und die angrenzenden Regionen (Italien, Slowenien, Böhmen, Elsass/Lothringen) eingewanderten Roma bezeichnen sich selbst als „Sinti“. Es gibt Theorien die diese Bezeichnung auf das heute in Pakistan gelegene Land „Sindh“ zurückführen. In Frankreich dagegen spricht man von „Manouches“ oder „Bohemiens“.

    Erst im 18. Jahrhundert dann entdeckten Sprachforscher direkte Parallelen zwischen dem altindischen Sanskrit und „Romenes“ oder „Romanes“ der Sprache der Sinti und Roma. Damit und durch spätere Nachforschungen gilt heute als halbwegs gesichert dass die „Sinti und Roma“ aus Nordwest-Indien stammen.
    Doch was diese Menschen damals bewog, ihre Heimat zu verlassen und Richtung Europa zu wandern, ist nach wie vor nicht genau bekannt. Möglicherweise war das damalige Vordringen des Islams eine der Ursachen. Eine weitere Theorie besagt, dass die Sinti und Roma von damaligen Feldherren und Eroberern wie z.B. „Alexander dem Grossen“ bei ihren Eroberungen zu Tausenden als Sklaven in Richtung Europa verschleppt worden seien.

    Hintergrund war aber kein, ihnen leider oft (besonders zu Zeiten der Naziverfolgung) unterstellter ethnisch begründeter „nomadischer Wandertrieb“, sondern sie waren meist durch Kriege, Verfolgung, Vertreibung oder auch aus rein wirtschaftlicher Not dazu gezwungen weiter zu ziehen. Viele von Ihnen sind heute längst sesshaft geworden. Die Migration der Sinti und Roma von Indien bis nach Mitteleuropa dauerte weit über 500 Jahre.

    Die Sinti und Roma, Ihre Geschichte und ihr Schicksal sind von den politischen Entwicklungen in Europa stärker geprägt worden, als die irgendeines anderen Volkes. Denn nie hatten die Roma einen eigenen Staat oder eine eigene Regierung, die sich für ihre Belange einsetzte. Während jedoch Hunderttausende Roma und Sinti n den grossen Weltkriegen zwischen den europäischen Staaten, u.a. oft auch als Soldaten, zum Opfer fielen haben sie selbst nie einem anderen Volk den Krieg erklärt !

    Im Volk der Sinti und Roma gab und gibt es seit jeher viele unterschiedliche „Berufsgruppen“. So sind z.B. die als „Sintis“ bezeichneten Menschen in erster Linie zumeist die Musiker unter den oft fälschlicherweise auch als „fahrendes Volk“ bezeichneten Sinti und Roma.
    Allerdings gab und gibt es auch bei den Sintis (Musikern) dennoch immer auch schon viele andere Berufe wie Kaufleute (Händler) oder handwerkliche Berufe wie Metallarbeiter (früher auch Kesselflicker oder Hufschmiede), Korbflechter, Schreiner (Holzarbeiter), Schneider uvm., aber auch Maler oder Geschichtenerzähler (heute würde man sie Schriftsteller nennen), Artisten, Gaukler und viele andere künstlerische Berufe.

    Sehr viel zu meinem eigenen Verständnis ihrer Musik beigetragen hat für mich die Beschäftigung mit der Kultur der Sinti und Roma.
    Wie lebten (und leben) Sinti und Roma und was für einen Einfluss hat das auf ihre Musik gehabt? Warum ist ihre Musik so wie sie ist, so vielfältig, oft sehr schnell, laut und ungestüm, dann wieder langsam, weich und schmeichelnd, melancholisch oder tragisch. Oft auch einfach nur wunderschön.

    Hierzulande sind besonders meist osteuropäische Musikstile als "Gypsy- oder Zigeuner-Musik" bekannt. Vor allem die ungarische Musik ist stark von der musikalischen Tradition der Sinti und Roma geprägt.
    Bereits im 15. Jahrhundert spielten dort oft kleinere Sinti-Musikkapellen an den Höfen der damaligen Habsburger Herrscher. Diese Kapellen bestanden in der Regel aus einer Besetzung von Streichinstrumenten, Klarinetten und einem Cymbale (grosse Zither) und wurden meist von einem Geige spielenden Solisten (Primás) angeführt. Dadurch hat diese Art der "Gypsy-Musik" in Ungarn eine lange Tradition.

    Die durch Jahrhunderte lang währende Vertreibung, Sklaverei und Unterdrückung geprägten Sinti und Roma waren gezwungen ihre Familien auf ihren Wanderungen irgendwie zu ernähren. Und so spielten die Sinti-Musiker
    in den jeweiligen Ländern in welchen sie sich grade aufhielten bevorzugt eben die Musik die dort verlangt wurde.
    Oft auf Festen, zu Feiern, Hochzeiten, Begräbnissen oder anderen Anlässen, da wo sie eben zum musizieren eingeladen wurden – ihre sprichwörtliche Musikalität war schon damals sehr ausgeprägt und hoch angesehen.

    Die grosse Virtuosität der Sinti-Musiker und die Leidenschaft ihres Vortrags haben die Musik der Sinti und Roma seit jeher in ganz Europa und weltweit ausserordentlich populär gemacht. Musikstücke mit dem Zusatz "Zigeuner" zeugen dabei von dem grossen Anteil innerhalb der romantischen Instrumental- und Operettenliteratur. Bekannteste Beispiele sind Stücke wie der "Zigeunerbaron" von Johann Strauss oder die "Zigeunerliebe" von Franz Lehár. Berühmt wurde die spezifische, von den Sinti-Musikern oft verwendete und später so genannte "Zigeuner-Tonleiter", die auch schnell den Weg in die klassische Musik fand, etwa durch die Klavierkompositionen von Franz Liszt, der diese spezielle Skala in vielen seiner Klavierwerke verwendet, etwa in seinen "Rhapsodien".

    Auch die starke, emotionale Wirkung der Musik der Sinti und Roma hat ihre Zuhörer über Jahrhunderte immer schon beeindruckt und in ihren Bann gezogen.
    Der französische Komponist Claude Debussy beispielsweise traf 1910 in Budapest den ungarischen Roma-Musiker Bela Radics und schrieb über dessen Spiel in einem Café: "Er eröffnet den Seelen jene spezielle Schwermut, die wir nur selten erleben können und entreisst ihnen alle Geheimnisse - nicht mal ein Safe wäre vor ihm sicher."

    Aber die Fähigkeit, bestimmte Dinge spielen zu können und deshalb vor allem besser als andere (lokale) Musiker darin sein zu müssen, war gleichzeitig ihr Kapital mit dem die Sinti ihren Lebensunterhalt auf ihren Reisen verdienen konnten (und mussten).

    Gypsyjazz History (2/3)
    Es war daher also nicht nur lebensnotwendig, ein Instrument gut zu beherrschen, sondern auch möglichst viele Lieder der Länder zu kennen, die sie bereisten. Dies erklärt auch ihre oftmals aussergewöhnliche und grossartige Virtuosität auf unterschiedlichsten Instrumenten und ihr oft riesiges Repertoire.

    (Bild links: Fapy Lafertin, Lollo Meier und Popso Weiss)

    Und das nicht nur aus „Gott gegebener Musikalität“ oder „natürlicher Vererbung“ wie oft angenommen sondern auch aus dem grossem Fleiss und investierter Arbeit welche für eine solche Virtuosität ebenso notwendig ist. Stundenlanges Üben ist dabei absolute Pflicht, das weiss ein jeder Musiker der ein Instrument zu spielen versteht … Bereits früh etablierte sich auch die „musikalische Ausbildung“ ihrer Nachkommen auf ihren Reisen.


    So wurden Lieder und bestimmte Fähigkeiten und Tricks auf einem Instrument meist nur vom Vater an den Sohn und vom Onkel an den Neffen dabei aber immer nur untereinander und rein mündlich weitergegeben. Dies ist bis heute bei den Sintis auch so Tradition geblieben; es gab und gibt bis heute nur relativ wenige Sintis die das Noten-Lesen oder -Schreiben beherrschen oder dies auch lernen wollen. Einen hohen Stellenwert hat Musik seit jeher in der Gesellschaft der Sintis dennoch immer schon gehabt und gute Musiker sind in ihrer Gemeinschaft hoch angesehen und werden durchaus geschätzt und verehrt.
    Wann immer sich Sinti-Musiker treffen wird auch relativ bald musiziert. Musik dient dabei genauso als Kommunikation wie auch als Lernmedium und lebendiger Austausch von Geschichten und Erlebnissen.

    Im frühen 16. Jahrhundert so besagen die Überlieferungen, waren die Sinti und Roma bis ins andalusische Südspanien vorgedrungen, dessen (arabische) musikalische Einflüsse sie im Flamenco ebenso absorbierten, verarbeiteten und für ihre eigene Musik übernahmen, wie schon zuvor fernöstliche Melodien, den ungarischen Çsardas, italienische Liebeslieder oder die französischen Musette-Walzer – alles Musikstile der Länder, die sie zuvor bereist hatten. All diese Einflüsse leben bis heute in der Musik der Sinti und Roma und damit ganz besonders in dem so genannten „Jazz-Manouche“ fort, der alles dieses miteinander vereint.

    Jazz-Manouche, Sinti-Swing, Gypsy-Jazz – der erste, eigenständige europäische Jazzstil

    Der sog. „Jazz-Manouche“, „Sintiswing“, „Gypsyjazz“ oder früher "Zigeuner"-Jazz also die Musik der Sintis und speziell der Nachfahren der französichen "Manouches" oder "Bohemians" (wie die Sintis in Frankreich genannt werden) hat viele Namen. Ihnen allen gemeinsam ist die starke Verbreitung der Gitarre in dieser Musik.

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    Ausgelöst massgeblich durch die musikalische Genialität des in Belgien geborenen und in Paris aufgewachsenen Sintos Jean-Baptiste "Django" Reinhardt , der die Jazz-Gitarre im europäischen Jazz zu dem gemacht hat was sie heute noch ist (einem wunderbaren Soloinstrument), ist die Geschichte des Gypsyjazz sehr eng mit seinem Namen verknüpft.

    (Bild links: Django Reinhardt, 1951)

    Geboren am 23. Januar 1910 als Jean-Baptiste "Django" Reinhardt im belgischen Liberchies in der Nähe von Charleroi, wuchs Django Reinhardt in den frühen 20er Jahren zusammen mit seiner Mutter „Negros“ und seinem jüngeren Bruder Joseph "Nin-Nin" hauptsächlich im Raum Paris auf (siehe auch Django - Private life 1/6).

    Von seinem Vater, einem unter Sintis ebenfalls bekannten Musiker, lernte er zunächst das Banjo zu spielen und begleitete, schon damals schnell für seine grosse Virtuosität bekannt, bereits im Alter von 12 Jahren berühmte Musette-Musiker wie Vétese Guérino, bei ihren Auftritten auf den „Bal de Musettes“ im Paris der frühen 20er Jahre.
    Inspririert durch die in den damaligen Pariser Jazz-Clubs spielenden amerikanischen Jazz-Musiker, meist Soldaten die nach dem 1. Weltkrieg in Paris geblieben waren und die dort den neuen Sound des „Jazz“ spielten, wechselte Django Reinhardt ein paar Jahre später recht schnell zur Gitarre.
    Er spielte die Jazz-Lieder die er damals hörte nach und imitierte deren Sound, inspiriert und geprägt durch den musikalischen Wortschatz der Musik seiner eigenen Vorfahren der Sinti und Roma, aber auch der klassischer Komponisten
    wie Bach, Debussy oder Grieg, die er sehr liebte und verehrte. All diese Einflüsse verknüpfte er mit grossartiger Virtuosität zum Sound des Jazz-Manouche.

    Aufgrund der schweren Verbrennungen seiner linken Hand (siehe Foto rechts) die er mit 18 Jahren beim Brand seines Wohnwagens erlitten hatte, war Django Reinhardt nicht mehr in der Lage, seinen kleinen Finger der linken Hand richtig zu bewegen.

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    Ebenso war der Ringfinger anscheinend nur noch sehr eingeschränkt beweglich. Hierdurch war es ihm zwar möglich, diese beiden Finger teilweise bei manchen Akkorden einzusetzen, nicht aber beim Solospiel. (Bild links: Django´s Hand)

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    Anscheinend war es Django Reinhardt auch nicht mehr möglich, normalerweise mit dem Ringfinger und dem kleinen Finger gespielte Dur- oder Moll-Barré-Akkorde auf der Gitarre zu greifen.

    Weitere Infos hierzu unter „Django - the Guitar-Maestro (1/4)“.

    Deshalb entwickelte er seine ganz eigene Grifftechnik, nicht nur für diese eigenen Chord-Voicings generell, sondern auch für sein Solospiel und perfektionierte dies alles. Django spielte teilweise durchaus lange Passagen seiner Soli nur mit zwei Fingern (Zeige- und Mittelfinger)!

    Alle seine speziellen Grifftechniken, inklusive seines Akkord- und Solospiels, spiegeln sich daher auch in dem sehr stark durch Djangos Spieltechnik geprägten Jazz-Manouche bis heute wieder. Diese durch Django Reinhardt erdachten und erstmals von ihm auf der Gitarre gespielten speziellen Chord-Voicings wurden später auch von vielen anderen Jazz-Gitarristen kopiert und fanden dadurch erst Eingang in das heute übliche Jazzgitarrenspiel.

    Sein Einfluss auf das Gitarrespiel reicht bis weit in die moderne Rock- und Jazz-Szene hinein. Berühmte Gitarristen wie Charly Christian, Barney Kessel, Les Paul, Chet Atkins, John McLaughlin, Pat Metheney, Carlos Santana, Eric Clapton, Gary Moore, Wes Montgomery, Joe Pass (u.v.m.) und natürlich auch viele der heutigen Sinti-Gitarristen benennen bis heute Django Reinhardt als einen massgeblichen, grossen Einfluss in ihrem eigenen Gitarrespiel.

    Jazz-Manouche, Sinti-Swing, Gypsy-Jazz – der erste, eigenständige europäische Jazzstil

    Der Sound des Jazz-Manouche ist daher stark geprägt durch diese speziell von Django Reinhardt entwickelte Spielweise, die von vielen französischen Gitarristen der damaligen Zeit wie den Gebrüdern Ferrét, Henri Crolla...

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    ...und anderen, auf speziell dafür entwickelten Gitarren ebenfalls nachgeahmt wurde und die den Musik-Stil so mitbegründeten und ebenfalls mit beeinflussten.

    Diese akustischen Jazzgitarren wurden als erste in den frühen 1930er Jahren von der Fa. Selmer gebaut, die zwar heute auch noch existiert, sich aber seit Ende der 1950er Jahre nur noch auf den Bau von Blasinstrumenten (Saxophone, Klarinetten) spezialisiert hat.

    (Bild links: Werbeplakat der Fa. Selmer von 1933, Django m. D-Loch Selmer)

    In dieser Zeit entwickelte Mario Maccaferri, ein nach Frankreich immigrierter italienischer Gitarrenbauer (selbst ein bekannter klassischer Gitarrist und Schüler von Segovia) der in den Jahren 1932-33 für die Fa. Selmer als Gitarrenbauer arbeitete, diese speziellen akustischen Gitarren auf Wunsch der damaligen Gitarristen.

    Das Besondere an diesen Gitarren sind u.a. ihre Bauform mit dem speziellen grossen D-förmigen Schalloch (D-Loch genannt) und eine spezielle Soundkammer die im inneren der Gitarre für eine Art „Verstärker-Effekt“ sorgen sollte. Dadurch waren diese Gitarren im Gegensatz zu herkömmlichen Akustik-Gitarren um einiges lauter. Durch ihre spezielle Bauform haben die Selmer-Gitarren einen sehr mittenreichen, eher „näselnden“ Klang der gleichzeitig aber sehr durchsetzungsfähig ist.

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    Da diese D-Loch Modelle mit ihrem Klang immer noch nicht ganz den Ansprüchen der damaligen Sologitarristen gerecht wurden, die sich oft akustisch gegen eine starke Dominanz an Bläsern in den Jazz-Bands durchsetzen mussten (damals gab es noch keine Verstärker), entwickelte Maccaferri etwa um 1933/34 im Auftrag der Fa. Selmer dann das spätere Nachfolgemodell, die Gitarre, welche durch Django Reinhardt berühmt gemacht wurde und die er bis zu seinem Tode 1952 auch noch spielte, nämlich das Selmer-Modell „Jazz“ (beziehungsweise das sog. Selmer „O-Loch“-Modell).
    (Bild rechts: Selmer Gitarre, 1938)

    Diese Gitarre hat intern wiederum eine sehr besondere Bauform, das charakteristische an ihr aber ist ihr kleines, O-förmiges Schalloch. Durch dieses wird der Schall quasi gebündelt nach aussen „gedrückt“ wodurch sie nochmals etwas lauter als o.g. D-Loch-Modelle sind und sich daher besonders gut als Solo-Gitarren eignen.

    Das 1933 gegründete "Quintette du Hot Club de France" wird von Jazz-Historikern als eine der erfolgreichsten, europäischen Jazzbands bezeichnet.

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    Im Jahr 1932/33 spielt Django Reinhardt als Gitarrist im „Hotel Claridge“ in Paris. Bei einem dieser Auftritte trifft Django Reinhardt auf den Geiger Stéphane Grappelli, Roger Chaput (Git.) und Louis Vola (Bs.).

    Diese vier Musiker spielten in dieser Zeit zusammen als Tanzband in jenem Hotel. Mit von der Partie ist auch noch Django´s jüngerer Bruder Joseph. In den Pausen zwischen ihren Sets jammen alle zusammen immer ihre Jazz-Lieblingstitel im Hinterzimmer des Hotels.

    Eines Tages wurden die beiden Jazzfans Pierre Nourry und Charles Delaunay vom französischen "Hot Club de Jazz" Zeugen einer dieser Sessions und organisierten begeistert anschliessend sofort die ersten Aufnahme-Sessions für das Label "Ultraphone" im Dezember 1934. Charles Delaunay wird fortan der Manager und Mentor der Band.

    Die Band des "Quintette du Hot Club de France" wurde in den 1930-50er Jahren in ganz Europa berühmt, sowohl durch ihre Schallplatten als auch ihre LIVE-Auftritte. Der Sound des damals nur aus Saiteninstrumenten bestehenden Quintetts prägte massgeblichen den auch als „String-Jazz“ bezeichneten Stil des Jazz-Manouche, der seither als der erste und einzige eigenständige Jazzstil Europas gilt.

    Django Reinhardt verstirbt am †16.05.1952 in Samois-sur-Seine im Alter von nur 42 Jahren an den Folgen eines Hirnschlages. Weitere Infos hierzu unter "Django - the Guitar Maestro".

    In den frühen 1960-70er Jahren wird der Sound des Jazz-Manouche auch in Deutschland durch grossartige deutsche Sinti-Musiker wie Schnuckenack Reinhardt, Hännsche und Lulu Weiss oder Titi Winterstein erneut populär gemacht. In späteren Jahren übernehmen meist Nachfahren und Verwandte der berühmten französischen Familie Reinhardt mit Musikern das grosse Erbe des berühmten Sinti-Gitarristen Django Reinhardt und führen es fort.
    Bedeutendste Vertreter dieser Musik sind heute Stochelo Rosenberg, Fapy Lafertin, Bireli Lagrene, Romane, Angelo DeBarre, Dorado und Tschawolo Schmitt, Lollo Meier, Wawau Adler u.v.m. Mehr Infos über diese Musiker hier.

    Es gibt bis heute eine weltweit aktive und lebendige Jazz-Szene von Sinti- und Nicht-Sinti-Musikern (Gadjos) welche den Sound und die Musik Django Reinhardts und des "Quintette du Hot Club de France" mit Begeisterung spielt und weiterführt, ja sogar weiter entwickelt und modernisiert.

    Auch gibt es weltweit eine Reihe von internationalen Musik-Festivals diese Stils wie z.B. das alljährlich stattfindende „Django Reinhardt Memorial“ in Augsburg (BRD), das „Djangofest Nothwest“ in Langley (Washington, USA) oder das „Festival Django Reinhardt“ in Samois-sur-Seine (France), dem Ort in welchem Django Reinhardt bis zu seinem frühen Tod 1953 gelebt hatte.

    Und es gibt mittlerweile einige LIVE- und Online-Gitarrenworkshops von Gitarristen des Jazz-Manouche-Stils, die anderen interessierten Gitarristen das Gitarrespiel dieses Stils näher bringen.

    Sinti-Musiker sind seit vielen Jahrhunderten wegen ihrer Musikalität überall gern gesehene Gäste, nur persönlich möchte man lieber keinen Kontakt mit Ihnen haben. Wenn Sie gespielt haben, sollen sie also bitte wieder ihres Weges ziehen. „Mutti hol die Wäsche rein, die Zigeuner kommen ...“, so oder so ähnlich dachten und denken heute leider immer noch viele Menschen, auch hierzulande.

    Antiziganismus und unterschwelliger Rassismus beinhaltet Ressentiments und Vorurteile gegen Sinti und Roma, die auf imaginären Zigeunerbildern aufbauen, die ohne Nachdenken auf die Menschen dieser Minderheit übertragen wurden und werden.
    Unser Wissen über das Leben der Sinti und Roma war in der Vergangenheit immer sehr begrenzt, da es keine eigenen, von Ihnen selbst verfassten Schriftquellen gibt. Die meisten Informationen, die es heute über Sinti und Roma gibt, wurden von Nicht-Sinti und -Roma gesammelt und weiter gegeben.

    Auch in Deutschland gibt es immer noch eine allgemeine Abneigung gegen die oft abwertend „Zigeuner“ genannten Menschen des Volkes der Sinti und Roma. Die Toleranz in der Bevölkerung für diese Menschen ist oft sehr gering und die weit verbreiteten, verallgemeinernden Vorurteile sind als beschämend zu bezeichnen.
    Dies kann man gerade an der aktuell wieder aufgeflammten Diskussion zum Thema „Armutseinwanderung aus Rumänien“ sehr gut sehen.

    Vorurteile jedoch sagen nie wirklich etwas aus über die Menschen, die sie beschreiben - Vorurteile sagen jedoch sehr viel aus über die Menschen, die diese Vorurteile benutzen. Diskriminierung beginnt immer schon mit der Geringschätzung Andersdenkender.

    Als ich Anfang der 1980er Jahre meinen ersten persönlichen Kontakt mit Sintis und dabei einigen Verwandten der bekannten Familie Reinhardt in Süddeutschland hatte, wir dort mit unserer damaligen Band viel für sie gespielt haben, hatte auch ich noch keinerlei Wissen über die Traditionen und Gebräuche der Sintis. Durch meinen persönlichen Kontakt, durch viele verschiedene Erlebnisse in dieser Zeit und auch später wuchs jedoch mein Respekt und auch ein anderes Verständnis für ihre Sitten und Verhaltensweisen.

    Vieles zu dem auch ich vorher eher skeptische und ablehnende Ansichten oder Vorurteile gehabt hatte, wandelte sich später in Erkenntnis und Verstehen einer Kultur die durch Jahrhunderte lange Verfolgung, Vertreibung und Ablehnung geprägt ist. Dass sich eine Kultur wie die der Sinti und Roma aufgrund des Jahrhunderte lang erlebten Negativen abschottet und einigelt ist daher nur normal und verständlich.

    Ein Grossteil des Unverständnisses und der gegenseitigen Ablehnung unserer beiden Völker aber hat schlicht mit Unwissenheit, dem oft nicht vorhandenen „Verstehen wollen“, mit allgemein menschlichem Respekt oder mit schlichtweg fehlender Toleranz dem anderen gegenüber zu tun. Ich selbst habe Sintis jedenfalls fast immer als ein sehr gastfreundliches und angenehmes Volk erlebt – aber: wie es in den Wald hinein ruft, so schallt es eben oft auch wieder heraus ...

    Sicherlich bin auch ich als Gadjo (Romanes f. Nichtzigeuner) mit manchen negativen Seiten in der Kultur der Sinti und Roma nicht immer einverstanden, habe manchmal auch kein Verständnis dafür. Und auch ich habe (leider!) schon eigene, negative Erfahrungen mit einigen Sintis machen müssen. Aber: es gibt gute und schlechte Menschen in jedem Volk dieser Erde, auch in unserem eigenen.

    Nehmen wir daher die Musik zum Anlass um Brücken des Verständnisses zu bauen, denn die Musik ist eine universelle Sprache die jeder Mensch versteht, völlig unabhängig seiner Hautfarbe, Rasse oder Nationalität.

    Vielleicht kann so eines Tages mehr Verständnis und die Toleranz füreinander wachsen und auch Sinti und Roma werden in unserer Gesellschaft als ganz normale Menschen wahrgenommen werden und Ihnen wird mit dem notwendigen Respekt und Anstand begegnet werden der Ihnen wie jedem anderen Menschen auf dieser Welt auch gebührt.

    Man bedenke: im Universum sind wir alle Ausländer!

    Bertino Rodmann
    (19.01.2014)

    Artikel „Musik der Sinti & Roma“ von Bertino Rodmann, geschrieben für das Rotary Magazin Ausgabe 02/2014 in voller, ungekürzter Fassung ©2014 Rotary Magazin

    Quellenangaben:

    Bildrechte:

    • Völkerwanderung – Roma News Society
    • Django Reinhardt 1951 + Django´s Hand – Baro Winterstein
    • Matthias Voigt Selmer Kopie + Samois 2010 (Sintimusiker) – Bertino Rodmann
    • Django Reinhardt Memorial – Hotclubnews.de
    • Fotos Bertino Rodmann – Hinrich Wulff Photography

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